Stimmbildnerische Tätigkeit ist stets mit großer Verantwortung verbunden, da sie immer einen wesentlichen Eingriff in das komplexe physiologische und funktionale Zusammen­spiel der bei der Klangerzeugung beteiligten Organe darstellt. Gesangspädagoginnen und Gesangspädagogen üben dabei eine entscheidende und richtungsweisende Kontrollfunk­tion aus, die auf höchster fachlicher Kompetenz beruhen muss und der Studierende un­ein­geschränkt vertrauen können müssen. Intuitives Gespür für die stimmliche Konstitution von Studierenden ist gut, reicht aber meiner Meinung nach nicht aus. Dagegen ist auch detail­reiches Wissen um die physiologischen, funktionalen und akustischen Grundlagen der menschlichen Phonation alleine noch keine Garantie für eine erfolgreiche stimm­bildneri­sche Tätigkeit, doch stellt es für Gesangspädagoginnen und Gesangspädagogen ein fach­liches Fundament dar, auf Basis dessen Fehlentwicklungen und Stimmschäden vorgebeugt und auf die individuellen stimmlichen Bedürfnisse der Studierenden im Rahmen eines sys­tematischen Stimmaufbaus eingegangen werden kann.

Mein persönlicher methodischer Ansatz orientiert sich grundsätzlich an den Prinzipien der evidenzbasierten Gesangspädagogik. Diese steht typischerweise für einen wissen­schaftlich orientierten, funktionalen – jedenfalls faktenbasierten Zugang in der Gesangs­lehre. Tatsächlich versteht man darunter jedoch noch ein viel breiter angelegtes modernes und auch auf imma­nente Kollaboration zwischen Lernenden und Lehrenden angelegtes pädagogisches Konzept. Evidenzbasierte Gesangspädagogik umfasst nicht nur die Berück­sichtigung und Anwendung moderner wissenschaftlicher Erkenntnisse der Stimm­forschung, sondern auch die Implemen­tierung persönlicher künstlerisch kreativer und pädagogischer Expertise der Lehrenden und nicht zuletzt auch die Integration von indivi­duellen Bedürfnissen, Lernzielen und Perspektiven der Studierenden.

Relevante wissenschaftliche Felder der Stimmforschung sind dabei etwa die Bereiche Physio­logie der Stimme, Stimm-Akustik, Psycho-Akustik, Medizin, kognitive und psycho­logische Prozesse des Lernens, Psychologie, Sprache, aber auch historische gesangs­pädagogische Theorien und Praktiken sowie Klangästhetik. Die künstlerische und päda­gogische Expertise umfasst all das praktische Fachwissen, die künstlerische Fertigkeiten und Erfahrungen, die Lehrende durch ihre umfangreichen Tätigkeiten auf der Bühne und als Pädagoginnen und Pädagogen erworben haben. Dazu zählen vertiefte Kenntnisse betreffend die Stimmfunktion und Gesangstechnik, Musikalität, Repertoire und Stilistik, musikalische Interpretation und dramatische Darstellung wie auch die Fähigkeit gesangs­technische Schwierigkeiten und Defizite zu diagnostizieren und insbesondere auch kreative und zielgerichtete Strategien für eine optimale individuelle technische und künst­lerische Entwicklung von Studierenden zu ent­wickeln und zu formulieren.

Ganz explizit soll hier aber auch die Bedeutung eines traditionellen empirischen Lehr­ansatzes (Meister*in-Schüler*in-Prinzip) in der Gesangsausbildung unterstrichen werden. Dieser ermöglichte die künstlerisch bedeutsame Weitergabe von Fachwissen, praktischen Erfah­rungen und verschiedensten Musizier-Traditionen seit vielen Generationen. Jene überlieferten praktischen Erkenntnisse und künstlerischen Traditionen finden, integriert in ein modernes gesangspädagogisches Verständnis, eine breite Wertschätzung und Anerkennung in der evidenzbasierten Gesangspädagogik.

1.      Grundlagen und Lernziele

Die Grundlage des Gesangsunterrichts ist, wie ich meine, das Erlernen eines gesunden und ökonomischen Umgangs mit der Gesangs- und der Sprechstimme sowie der Erwerb der Fähigkeit, eine sichere sängerische Technik mit emotionalen Ausdrucksinhalten, Krea­tivität, informierter Stilistik und individueller künstlerischer Gestaltung zu verbinden. Besondere Bedeutung kommt dabei auch dem Fördern künstlerischen Erle­bens und eines möglichst breiten musikalischen Ver­ständnisses zu. Absolventinnen und Absolventen der Studiengänge sollen schließlich in der Lage sein, auf höchstqualifiziertem künstlerischem Niveau zu musizieren.

Folgende Lernziele möchte ich dazu formulieren:

  • Das Entwickeln einer sicheren Gesangstechnik auf Basis der Prinzipien der Belcanto-Tradition sowie moderner stimmphysiologischer Erkenntnisse.
  • Die Sensibilisierung auditiver und kinästhetischer Selbstwahrnehmung und das be­wusste Erleben und Steuern funktioneller und physiologischer Abläufe beim Singen.
  • Das Beherrschen verschiedener Kunstformen und Genres des Gesangs sowie der Stilistik diverser musikalischer Epochen.
  • Das informierte Erfassen rationaler, struktureller und aufführungsrelevanter Aspekte der musikalischen Praxis.
  • Das Erlernen eines künstlerisch vielfältigen stimmspezifischen Repertoires.
  • Das Aneignen künstlerisch-sinnlicher Kompetenzen wie etwa die Fähigkeit zur reflexiven Auseinandersetzung mit emotionalen, sozialen und gesellschaftlichen Inhalten.
  • Das Entwickeln einer Künstler*innenpersönlichkeit, fähig zur Reflexion über sich selbst und die Vokalkunst in ihrem künstlerischen und gesellschaftlichen Kontext sowie zu eigenständiger künstlerischer Ausdrucksfähigkeit.

2.     Gesangstechnische Konzeption meines Unterrichts

Grundidee der stimmbildnerischen Konzeption meines Unterrichts ist das Ökonomisieren und Optimieren physiologischer und funktionaler Prozesse beim Singen. Aktuelle wissen­schaftliche Erkenntnisse aus den Bereichen Stimmphysiologie und Akustik als auch Psychologie, Pädagogik und Didaktik bilden dabei eine wichtige Grundlage für die Analyse und Optimierung von Lern- und Übungsprozessen. Im Sinne eines systematischen Stimm­aufbaus stehen die vier Funktionskreise: Haltung, Atmung, Phonation und Resonation/ Artikulation dazu im Fokus meiner stimmbildnerischen Arbeit. Eine stetige Wechsel­wirkung zwischen den einzelnen Funktionskreisen kann dabei voraus­gesetzt werden (resona­to­rische Veränderungen im Vokaltrakt haben etwa auch direkte Auswirkungen auf die Glottisfunktion und die Atem-Balance).

2.1.    Die Körperhaltung

Schon Pier Francesco Tosi (Opinioni de’ cantori antichi, e moderni o sieno osservazioni sopra il canto figurato, Bologna 1723) und Giambattista Mancini (Pensieri e riflessioni prati­che sopra il canto figurato, Wien 1774) beschrieben im 18. Jahrhundert eine aufrechte, noble Haltung als Grundlage eines eleganten Gesangstons. Tatsächlich wird die Suche nach einer dynamischen Balance zwischen Spannung und Entspannung (Eutonus) – nicht nur beim Singen – ausschließlich bei entsprechend aufgerichteter (gestreckter) Wirbelsäule erfolgreich sein. Diese aufrechte Körperhaltung ist bei gleichzeitiger relativer Entspannung von Knöchel-, Knie- und Hüftgelenken sowie der Schultern und ganz besonders des Kiefergelenks Grundlage für entspanntes Atmen und in weiterer Folge für das Etablieren der Atem-Balance (Atem-Stimm-Kopplung, appoggio in petto) beim Singen. Ein zentrierter Körperschwerpunkt begünstigt dazu die Arbeit der Zwischenrippenmuskulatur und des Zwerchfells.

Eine durch jene aufrechte Haltung bewirkte stets flexible Längs-Dehnung im Bereich des Nackens (Hals­wirbelsäule) führt unter anderem auch zu einer für die Stimmproduktion optimierten Positio­nierung des Kehlkopfes und begünstigt den Ausgleich zwischen Kehl­hebern und Kehl­senkern. So kann der, bei vielen jungen Sängerinnen und Sängern auf­tretenden kontra­produktiven Tendenz, bei steigender Tonhöhe den Nacken zu verkürzen, das Kinn nach vorne zu verschieben und den Kehlkopf steigen zu lassen (Verkleinerung des Ansatz­rohrs und der faukalen Weite) entgegengewirkt werden.

Die aufrechte Haltung soll keinesfalls als statisches Festhalten einer bestimmten Körper­einstellung, sondern vielmehr als ein flexibler und dynamischer Vorgang verstanden werden.

2.2.  Die Atmung

Zentrale Aufgabe der Atemtechnik beim Singen ist die feindifferenzierte Regelung und stän­dige Anpassung der subglottischen Luftdruckverhältnisse an die jeweiligen phonato­rischen Erfordernisse (abhängig von Tonhöhe, Register und Dynamik) und damit das Herstellen der sogenannten Atem-Stimm-Kopplung (appoggio in petto, Stütze, breath management, support). Das feinmotorische Einstellen einer solchen Atem-Balance begünstigt vor allem auch die Kehltätigkeit und ist Voraussetzung für eine optimierte Atemstromrate (flow phonation).

Bezüglich der Atemtechnik beim Singen verwende ich persönlich im Gesangsunterricht fast ausschließlich den italienischen Terminus appoggio, da dieser Begriff in seiner ursprüngli­chen Bedeutung bereits die Gesamtheit der physiologischen und funktionalen Vorgänge zur Koordination zwischen Atmung, Klangerzeugung und Resonation (appoggio in petto, appoggio in testa) beinhaltet. In italienischen Gesangstraktaten aus dem 17. und 18. Jahr­hundert wurde das Atemmanagement beim Singen noch als „forza naturale del petto“ be­zeichnet. Gemeint war damit das dynamische und feinmotorische Dosieren der Atemluft bei der Klangproduktion. Die Technik des appoggio beschreibt durch das Bei­behalten einer Einatmungstendenz (inhalare la voce) während der Exspiration (beim Singen) einen anta­gonistischen Balance-Akt zwischen der Ein- und Ausatmungs­muskulatur. Unter diesen Voraussetzungen hat sich die Costo-Abdominal-Atmung (Zwerchfell-Flanken-Atmung) als besonders günstig und ökonomisch für den Einsatz im Gesang bewährt.

2.3.  Die Phonation

Das Kapitel der Phonation umfasst prinzipiell sämtliche Einstellungsmöglichkeiten der inneren und äußeren Kehlmuskulatur zum Bereitstellen der, für die Phonation unterschied­licher Grundtonfrequenzen entsprechenden Stimmlippenschwungmasse und des jewei­ligen Grades an Stimmlippenadduktion. Von besonderer Bedeutung zur Regulierung der Stimmlippenmasse und damit auch der Phonationsfrequenz ist das feindifferenzierte Zusammenspiel des M. cricothyroideus (CT) und des M. thyroarytaenoideus (TA).

Diverse gesangsphysiologische Studien belegen einen direkten Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Stimmregistern und bestimmten, von der jeweiligen Masse abhängigen Schwingungsmustern der Stimmlippen. Das Ausbilden sowie der Ausgleich der Stimm­register stellt dazu eine der wichtigsten Aufgaben im Aufbauprozess einer Gesangsstimme dar. Als Ziel sollte eine in allen Lagen optimierte Atemstromrate (flow phonation) bei mög­lichst geringen subglottischen Luftdruckverhältnissen, tendenziell geringer Stimmlippen­masse und adäquater glottischer Adduktion (Aktivität der M. interarytaenoidei und M. cricoarytaenoideus lateralis) angestrebt werden.

Insbesondere soll aber auch das Entwickeln kinästhetischer Wahrnehmung unter­schied­licher, von der jeweiligen Registereinstellung abhängiger Vibrationserscheinungen beim Singen im Gesangsunterricht unterstützt werden.

2.4.  Die Resonation/Artikulation

Im Ansatzrohr wird der vom Kehlapparat erzeugte Primärschall in bedeutendem Maße modifiziert. Der Vokaltrakt wirkt dabei wie ein Filter, der bestimmte Frequenzen der Ober­tonreihe des Primärschalls verstärkt, andere wiederum dämpft. So werden Teil­töne, die im Frequenzbandbereich der, durch die Größe und Form des Ansatzrohrs (hohe oder tiefe Kehlkopfposition, viel oder wenig faukale Weite) und durch den jeweiligen Vokal (unter­schiedliche Frequenzbereiche des ersten und zweiten Formanten) bestimmten Formanten liegen, resonatorisch begünstigt.

Das feine Abstimmen der Vokalfarbe und damit das Verändern der Frequenzen der beiden tiefsten Formanten (F1 und F2), um sie mit den Frequenzbereichen einzelner Teil­töne der Obertonreihe zur Überlagerung zu bringen, führt automatisch zu einer Steigerung des Schalldruckpegels und damit zur Verbesserung der stimmlichen Tragfähigkeit (formant-tuning). Typisch ist etwa die Strategie der Verstärkung des 2. Formanten durch den zweiten, dritten oder vierten Teilton (abhängig von der Grundtonfrequenz) bei Männer­stimmen und jene der Überlagerung des 1. Formanten mit dem Grundton bei Frauen, die im Kopfregister (whoop timbre) singen.

Diese Vorgänge (vowel modification) sind auch Grundlage des Vokalausgleichs. Ziel ist dabei ein Angleichen des Klanggepräges heller und dunkler Vokale in unterschiedlichen Registern und Tonlagen. Gemäß dem Ideal des Belcanto sollte dabei jeder Vokal zugleich über helle und dunkle Klangeigenschaften verfügen (chiaroscuro). So wird auch die regis­ter­determinierende Tendenz der Vokale (z.B.: „A“ tendiert zum Modal/Brustregister, „U“ zum Kopfregister/Falsett) relativiert und der Registerausgleich erleichtert. Erreicht wird dies vor allem durch das Etablieren einer gleichmäßigen Resonanzweite (faukale Weite, open throat, gola aperta) im Ansatzrohr. Diese geht dabei typischerweise auch mit einer lockeren und flexiblen Tiefstellung des Kehlapparats einher und führt durch die verstärkte Aktivierung des CT zu einer moderaten Reduktion der Stimmlippenschwungmasse. Töne in hohen Lagen können auf diese Weise wesentlich leichter, mit geringerer Druck­entfaltung und aus diesem Grund deutlich ökonomischer hervorgebracht werden. Resona­torische Einstellungen stehen somit in direkter Wechselwirkung mit den Spann­mechanismen im Kehlapparat und haben so auch Einfluss auf die Stimmregistrierung. Etwas vereinfacht kann abgeleitet werden, dass durch die faukale Weite eine Nasen­rachenraum-dominante Resonanz­entwicklung etabliert wird, es bei Fehlen der faukalen Weite jedoch zu einer Mundraum-dominanten Resonanz­entwicklung kommt. Erstere schafft bereits gute Voraussetzungen für das Gelingen von Vokal- und Registerausgleich. Die faukale Weite kann somit als resona­torische und artikulatori­sche Grundeinstellung im klassischen westlichen Kunstgesang angesehen werden.

Besondere Aufmerksamkeit im Aufbau der Gesangsstimme sollte vor allem auch den kinäs­thetisch spürbaren Resonanzerscheinungen in verschiedenen Körperregionen geschenkt werden, da diese für Sängerinnen und Sänger eine wichtige Orientierung und einen Kontrollmechanismus bezüglich der Resonanzentfaltung beim Singen darstellen. Vor allem intensive, durch kräftige hochfrequente Teiltöne ausgelöste Vibrations-empfindungen im Bereich des Kopfes (appoggio in testa, Stimmsitz, Stimmansatz, Maske) führen oft schon zu einer deutlichen Ökonomisierung der Klangproduktion. Der Gesangs­ton entfaltet damit bereits genü­gend resonatorische Kraft und die Sängerin, bzw. der Sänger verspürt kein Bedürfnis, Kompensationsmechanismen (mehr Atem- und Stimm­druck) einzuleiten. Ein optimales Verhältnis zwischen Resonanz und Impedanz (Wider­stand, semi-occluded vocal tract configuration: schmal und vertikal im Bereich der Lippen, Weite im Bereich des Rachens und Schlundes) ist dabei zu entwickeln.

Bestimmte resonatorische Phänomene haben zudem auch Auswirkungen auf die Register-Wahrnehmung beim Singen und können helfen, spezifische Probleme der Stimm­registrie­rung zu verbessern. Auch die wahrnehmbaren resonatorischen Veränderungen im Bereich des Passaggio bei Männerstimmen (girare, decken, cover) sind u.a. auf solche Phäno­mene zurückzuführen. So stellt sich bei steigender Phonationsfrequenz und gleich­bleibender Einstellung des Ansatzrohres automatisch eine Veränderung des Stimmtimbres ein, sobald der zweite Teilton (H2) den Frequenzbereich des ersten Formanten (F1) passiert hat. Aber auch bei Frauenstimmen ist eine Veränderung des Stimmtimbres be­merkbar, sobald im Kopfregister der erste Formant (F1) mit dem Grundton (H1) in Abstim­mung gebracht wird (whoop timbre) und bei steigender Tonhöhe ebenfalls ent­sprechend erhöht wird (formant 1 tracking).

Ein Qualitätsmerkmal der ausgebildeten Sänger*innenstimme ist das Vorhandensein des soge­nannten „Sängerformant-Clusters“ und die Entwicklung dieses akustischen Phäno­mens stellt eine wichtige Herausforderung in der Gesangsausbildung dar. Durch eine Annäherung der Formanten F3, F4 und F5 im Bereich zwischen ca. 2,5 KHz und 3,5 KHz kommt es zu einer deutlichen Verstärkung des Stimmschalldruckpegels. Der Klang gewinnt dabei – ohne weitere Druckentfaltung seitens der Atmung oder phonatorischer Mechanismen – an Bril­lanz, Intensität, metallischer Kraft und Tragfähigkeit. Das Bilden eines sogenannten aryepiglottic sphincters (Annäherung der Epiglottis und der Stell­knorpel) bei gleichzeitiger tiefer Positionierung des Kehlkopfes und faukaler Weite begünstigt das Entwickeln des „Sängerformant-Clusters“. Die mit dem Auftreten des „Sängerformant-Clusters“ einher­gehenden Vibrationsempfindungen in den oberen und vorderen Bereichen des Kopfes werden oft auch als „in die Maske singen“ beschrieben.

Einen wichtigen Teil des Themenkomplexes der Resonation und Artikulation stellt auch die Vokal- und Konsonantenbildung dar. Unter Berücksichtigung der resonatorischen Erforder­nisse (Vokalausgleich) soll die korrekte Artikulation diverser Vokale und Konso­nanten (Form des Vokaltrakts, Zungenpositionen) im Kunstgesang erlernt werden.

Eine für ausgebildete Stimmen typische Erscheinung ist das Stimm-Vibrato. Sein Ent­stehen ist wissenschaftlich bislang noch nicht hundertprozentig geklärt doch stützen wissenschaftliche Erkennt­nisse die Vermutung, dass einerseits respiratorische Effekte, vor allem aber Schwankungen der CT-Spannung sowie Schwingungsverhalten der gesamten Kehlstruktur maßgeblich mit dem Auftreten des Vibratos korrelieren. Belegt ist auch, dass die Entwicklung und Kultivierung des Vibratos (eine Oszillati­onsrate von 5,5 bis 7,5 Schwingungen pro Sekunde wird im klassischen Gesang westlicher Prägung als Ideal angesehen) mit einer Optimierung von Atemtechnik, Klangerzeugung und Resonanz­entwicklung einhergeht.

3.     Repertoire und Stilistik

Wichtige Aufgabe in der Gesangsausbildung ist auch das Erarbeiten eines möglichst viel­fältigen, stimmspezifischen Repertoires. Dieses sollte sämtliche klassische Kunstformen: Lied, Oratorium und Oper/Operette aus möglichst allen musikalischen Epochen von der Renaissance bis zur Moderne beinhalten. Berücksichtigt soll dabei auch stets die jeweilige Stilistik werden. Beispielsweise das Konzept der Affektenlehre sowie der Verzierungskunst im Barock (wesentliche Manieren und willkürliche Veränderungen, Kadenzen), die Gestal­tung von Secco-Rezitativen oder auch für die Zeit des Verismo typi­sche Phrasierungsarten mit ausladenden Rubati und Portamenti. Auch ein Überblick über die Geschichte der Gesangskunst und historische Klangideale soll im Sinne einer Offenheit gegenüber histo­risierender (historisch infor­mierter) Aufführungspraxis in der Gesangs­ausbildung vermit­telt werden.

4.     Entwickeln einer Sänger*innen/Künstler*innenpersönlichkeit

Kunstgesang ist stets Ausdruck einer künstlerischen und intellektuellen Reflexion von Texten, menschlichen Emotionen und Befindlichkeiten. Techniken zur vokalen Umsetzung künstlerisch-emotionaler Ausdrucksinhalte sollen dazu im Unterricht erarbeitet werden. Eine wichtige Grundlage für das Entwickeln von persönlichem Ausdruck und Stilempfinden und in weiterer Folge für das eigene künstlerische Tun ist aber auch die Auseinander­setzung mit Literatur und musikalischen Strukturen. Eine wesentliche Aufgabe der Gesangspädagogin, bzw. des Gesangspädagogen sehe ich dazu auch im Anregen und Fördern von Individualität und Kreativität, damit Studierende schließlich in der Lage sind, eigene künstlerische Konzepte zu entwickeln und zu realisieren.

Neben künstlerischer Sensibilität soll im Gesangsunterricht aber auch die Wichtigkeit von Fleiß und Disziplin thematisiert und die Entwicklung physischer und psychischer Stabilität sowie sozialer Kompetenzen unterstützt werden.

5.     Methodische Konzeption des systematischen Stimmaufbaus

Grundlage meines methodischen Vorgehens in der Gesangsausbildung ist immer die sängerische Anamnese. Untersuchungsinstrumentarium ist dabei in erste Linie das funkti­onelle Hören, welches ich für die gesangspädagogische Arbeit als unverzichtbar erachte. Das funktionelle Hören ermöglicht es, äußerlich nicht erkennbare innerliche physiolo­gische Vorgänge nachzuvollziehen und funktionale Probleme zu identifizieren. Der Identi­fikation des Problems folgen die Analyse und schließlich das Entwickeln einer individu­ellen syste­matischen Strategie bzw. Übung zur Lösung. Meine stimmbildnerische Arbeit ist also immer auf einem stimmphysiologisch orientierten Ansatz begründet.

Folgende Vorgehensweisen wende ich dabei an:

  • Stimmphysiologische Erklärungen

Gemäß meinen Erfahrungen hat es sich bewährt, die Studierenden über physiolo­gische und funktionale Ziele bestimmter Gesangsübungen aufzuklären und diese stets bezüglich klangästhetischer und stimmgesundheitlicher Erforder­nisse zu kon­textualisieren. Die Fähigkeit, komplexe physiologische Vorgänge in ein­fache und verständliche Erklärungen sowie in möglichst intuitive Übungen zu übertragen, ist dabei für Gesangspäda­goginnen und Gesangspädagogen von größter Bedeutung. Auch Anschauungs­material wie etwa anatomische Abbildungen können einen hilfreichen Beitrag leisten, das Vorstellungsvermögen stimmfunktionaler Abläufe sowie die Fähigkeit zu differenzierter, kinästhetischer Wahrnehmung beim Singen zu entwickeln und zu ver­bessern. Ergänzend können aber auch moderne compu­tergestützte Analyse­verfahren der Veranschaulichung bestimmter physiologischer oder akustischer Zusammenhänge dienlich sein: so etwa die Software Madde (Stimm-Synthesizer, entwickelt von Svante Granqvist, KTH Stockholm), mittels der sehr einfach und ver­ständlich das Zusammenwirken der Obertonreihe des Primär­schalls und der For­manten des Vokaltrakts gezeigt und hörbar gemacht werden kann. Auch mittels des VoceVista Systems (Analysesoftware und portabler Elektro­glottograph, entwickelt von Don Miller), mit dem ich durch die Forschungstätigkeit bestens vertraut bin, können physiologische und akustische Charakteristika der Phonation (betreffend die Glottisfunktion und die Resonanzstrategie) im Gesangs­unterricht schnell und un-kompliziert veranschaulicht und einfach erklärt werden.

  • Imagination und Metaphorik

So wichtig meiner Meinung auch das Wissen über die physiologischen und funkti­o­nalen Zusammenhänge beim Singen ist, so bedeutend ist auch das Einbeziehen von Intuition, Metaphorik und bildhafter Vorstellungskraft für stimmbildnerische Ent­wicklungsprozesse. Schließlich handelt es sich bei den meisten körperlichen Vor­gängen zur Klangerzeugung um innere, von außen nicht sichtbare und schein­bar nicht direkt zugängliche Prozesse. Einfache Vorstellungen, die zuweilen auch gesangspädagogische Fiktion sein können (in diesem Fall weise ich allerdings explizit darauf hin), führen oftmals sehr direkt zu spezifischen physiologischen und funktionalen Veränderungen, die zur Ökonomisierung des Phonationsprozesses oder zur klangästhetischen Verbesserung beitragen. Meine persönlichen Erfah­run­gen dazu haben gezeigt, dass diese körperlichen Vorgänge über die Imagina­tions­ebene für die Studierenden meist sehr schnell und nachhaltig zugänglich werden. Beispiele hierfür sind u.a. ein Staunen, um etwa die faukale Weite im Ansatzrohr einzurichten, die Vorstellung des kontinuierlichen Befüllens eines Heißluftballons, um die Expansion des Brustkorbs beim Singen und damit die Einatmungstendenz aufrecht zu erhalten oder aber auch die Vorstellung einer Ver­schlankung und Vertikalisierung der Stimme bei steigender Tonhöhe, was auto­matisch eine Reduk­tion der Stimmlippenschwungmasse zur Folge hat.

  • Bewegung

Spezifische Bewegungen haben sich als besonders effizientes Instrumentarium erwiesen, um physiologische aber auch psychologische Blockaden im Gesangs­unterricht abzubauen. Beispiele dazu sind das Lösen von Verkrampfungen der Atmungsmuskulatur und damit das Verändern der Atemstromrate beim Singen – etwa durch kontinuierliche dynamische Drehbewegungen (um die eigene Achse), durch nach rechts und links wippende Beckenbewegungen (Twist – führt zur Ent­krampfung der inneren Zwischenrippenmuskulatur) oder das vorgestellte Balan­cieren auf einer Slackline. Studierenden mit allgemein zu geringem musku­lärem Grund-Tonus und einer Tendenz zur hypofunktionalen Phonation verhelfen Bewe­gungen oftmals zu einer deutlichen Verbesserung der Atem-Stimm-Kopplung und der glottischen Adduktion und so zu einem ästhetisch ansprechenden, tragfä­higen und obertonreichen Gesangston. Dazu können Bewegungen auch gut zur Dar­stel­lung und Umsetzung musikalischer Phrasierungen genutzt werden. Gerne verwende ich dazu im Unterricht auch Hilfsmittel wie Therabänder, Franklin-Bälle, Balance-Boards, Lax Vox, etc.

  • Emotionen

Einer der wichtigsten Leitsprüche in der Gesangspädagogik der altitalienischen Schule im 18. Jahrhundert war: „canta come si parla“ (sing, so wie du sprichst). Man meinte damit, dass jede künstlerische, durch den Gesang vermittelte Aussage min­destens den gleichen emotionalen Gestus und die gleiche körperliche Energie erfordere wie die gleiche gesprochene Aussage im täglichen Leben. Bestimmte Gefühlszustände lösen automatisch unterbewusste körperliche, musku­läre Reakti­onen aus, die so einen bedeutenden Einfluss auf phonatorische Prozesse haben und im Gesangsunterricht nutzbar gemacht werden können. Ein „freudiges Er­schre­cken“ etwa eignet sich sehr gut, um gleichzeitig die Atem-Balance und die Reso­nanzweite einzurichten. Dazu werden die Stimmlippen geschlossen und die glotti­sche Adduktionstendenz spürbar. Einen ähnlichen Effekt hat auch das Gefühl der Vorfreude auf ein glückliches Ereignis. Das Wahrnehmen von Auswirkungen emo­tionaler Zustände auf physiologische Vorgänge beim Singen – im Sinne des Entwickelns eines emotionalen Körpergedächtnisses – sowie die Fähigkeit, dieses emotionale Körpergedächtnis sowohl technisch als auch künstlerisch für den Gesangsvortrag zu nutzen, stellt ein wichtiges Handwerkszeug für Sängerinnen und Sänger dar. Emotionen wie z.B. Freude, Staunen, Überraschung, Neugierde aber auch Trauer und Schmerz, etc. eignen sich dazu hervorragend.

  •  Vokale und Konsonanten

Die unterschiedlichen Charakteristika diverser Vokale und Konsonante, bzw. Silben und Silbenkombinationen lassen sich vorzüglich zum Lösen bestimmter stimm­funk­tionaler Probleme nutzen. So kann aufgrund der register­determinierenden Wirkung durch Vokalisen auf dunkeln Vokalen wie O und U oder Vokalkombina­tionen wie z.B. UOU-UOU-UOU eine hyperfunktionale Phonation, durch Übungen auf A oder JA (IA) eine hypofunktionale Phonation ausgeglichen werden. Der Effekt kann bei letzterer durch eine Ausführung im Staccato, bei ersterer im Legato verstärkt werden. Beispielsweise kann aber auch ein durch Ver­krampfung des Zungen­grunds verursachtes „Knödeln“ durch eine Übung auf den Silben LIU-LIA korrigiert werden, da die Zunge dabei stetig in Bewegung bleibt. Auf­grund eines hohen zweiten For­manten helfen die Vokale E und I beim Aufbau einer resonanz­reichen Mittel- und Tieflage. Zur Etablierung der Nasenrachenraum-Resonanz eig­nen sich etwa ins­besondere klingende Konsonanten wie N, M oder NG, bzw. Silben wie MNIONG, MIOM, MNJAM oder JONG.

  • Imitation

Hören Sängerinnen und Sänger eine Gesangsstimme, kommt es bei ihnen meist schon zu einem unwillkürlichen inneren Nachvollzug phonatorischer Prozesse. Die bei der Klangerzeugung beteiligten Organe reagieren dabei automatisch auf das Gehörte. Nicht zuletzt stellt darum auch die Nachahmung einen intuitiven und oft­mals zielführenden Ansatz in der Stimmbildung dar; so etwa das stimmliche Demonstrieren von, für die ökonomische und gesunde Klangerzeugung not­wen­di­gen Timbre-Veränderungen diverser Vokale in unterschiedlichen Lagen. Auch das Gegenüberstellen richtiger und falscher sängerischer Strategien trägt, meiner Erfah­rung nach, zu einem besseren Verstehen der Problematik bei Studierenden bei. Schließlich können auch künstlerische interpretatorische Ideen, z.B. betreffend die Phrasierung oder die Art und Weise einer gewollten Hervorhebung einer Silbe oder eines Wortes (Verlängerung des Vokals, dynamische Verstärkung, Verstär­kung des Start-Konsonanten, Verzögerung der Silbe, etc.) durch die Imitation der Lehrerin, bzw. des Lehrers verständlich und nachvollziehbar gemacht werden. Besonders zu beachten ist diesbezüglich jedoch, dass vorgesungene Beispiele stets nur als Modell für die Klangbildung oder Phrasierung verstanden werden und Studierende nicht versuchen sollen, das indi­viduelle Stimmtimbre der Lehrerin, bzw. des Lehrers zu kopieren.

Zusammenfassend möchte ich festhalten, dass mein methodischer stimmbildnerischer Ansatz und mein künstlerisch-pädagogisches Konzept daraufhin abzielt, über unterschied­liche Reize wie Vorstellungen, Bewegungen, Emotionen oder Imitation auditives und kinästhetisches Wahrnehmungsvermögen bei den Studierenden zu entwickeln und zu stärken. Diese Kompetenzen sollen schließlich, vernetzt mit Intuition, Kreativität, emotional-sinnlichem Ausdruck sowie Kenntnissen über die physiologischen und funktio­nalen Prozesse der Klangerzeugung einerseits zu einem bewussten und sicheren Umgang mit dem Instru­ment Stimme – vor allem aber zur Entwicklung und Umsetzung eigen­ständiger höchstqualitativer künstlerischer Interpretationen befähigen.